„Wenige bewirken Vieles“ – Jürgen Wiebickes Appell an den Möglichkeitssinn

  • 13.6.2025
  • Annika Lante

Ein „Heimspiel“ vermutete Jürgen Wiebicke (WDR) bei seinem Vortrags- und Gesprächsabend im Mülheimer Haus der Evangelischen Kirche – und lag vermutlich nicht ganz verkehrt. „Erste Hilfe für Demokratie-Retter“ verspricht der Titel seines Buches, dessen Inhalte er vor rund 150 Demokratie-Retter*innen im Mülheimer Altenhof vorstellte.

Einige der gedanklichen „Rettungsringe“, die Wiebicke den Anwesenden zuwarf, standen symbolisch für sein „Heimspiel bei den Evangelischen“: Demokratie-rettend sei die persönliche Erfahrung, „dass man gemeinsam mit anderen etwas hinkriegen kann, das etwas Größerem gewidmet ist“. Er appellierte an den „Möglichkeitssinn“, den es zu stärken gelte und den Wunsch, dass jede*r biografisch prägende Erfahrungsräume erlebe, in denen man die Welt aktiv mitgestalten kann. – „Willkommen bei uns!“ könnten die evangelischen Gastgebenden hineinrufen, … wenn das alles so einfach wäre.

Wiebicke startete mit einem historischen Exkurs: Schon in der antiken Stadtgesellschaft kannte man die „Idiotes“, die von allem Gemeinwesen nichts wissen wollten. Auf sie und ihre seelische Verfasstheit kam Wiebicke im Laufe des Abends immer wieder zurück. Ebenso auf den Grundsatz, dass es in einer Demokratie ein verbrieftes Recht sei, sich aus allem rauszuhalten: „Machst du mit, bist du eingeladen. Sonst hast du die Folgen zu tragen.“ Noch einmal zu den „Idiotes“: „Heute würden sie sich selber eher nicht so bezeichnen, sondern vielleicht sagen ,Wir machen es uns hyggeglig‘ und sich der Weißweinverkostung widmen“, so Wiebickes Sozialanalyse. „Natürlich kann man geistig die Vorhänge zuziehen und es sich in der Komfortzone des Moserns gemütlich machen“. In deutlichere Worte fasste das Aufklärer Kant, den Wiebicke zitierte: „Faulheit und Feigheit“ seien die Quellen der selbstverschuldeten Unmündigkeit. – Nicht alle Zuhörer wollten da mitgehen, wie aus einer der Wortmeldungen deutlich wurde. Seien es nicht vielmehr eigene Ohnmachtserfahrungen, die Menschen auf Distanz zur Politik brächen? Wiebicke hielt argumentativ dagegen: „Wenn wir in Ohnmachtsgefühlen und Unheilserwartungen festhängen, nehmen wir uns selber als Spieler vom Feld.“

Generell werden die Kräfte von Einzelnen in der Gesellschaft viel zu sehr unterschätzt, so Wiebicke. Sein Credo vielmehr: „Wenige können Vieles bewirken.“ Große Ideen werden selten in einem vielköpfigen Plenum geboren, so Wiebicke, sondern im kleinen Kreis – und dann gelte es, andere zu begeistern. Ein Fazit daraus hatte der Gastredner schon zu Beginn des Abends vorweggenommen: „Die Demokratie stirbt nicht an ihren Feinden, sondern an zu wenigen, die sich engagieren. Diejenigen, die ihre Zeit dazu widmen, Gemeinsinn zu produzieren, davon haben wir zu wenig.“

Ganz klar warb Wiebicke immer wieder für das Engagement in politischen Parteien. Aktiv-werden statt Schlechtreden, so seine deutliche Forderung: „Wenn wir über unsere Demokratie reden als wäre es eine Bananenrepublik, dann ist das schon der halbe Weg in den Populismus“. Dabei appellierte Wiebicke klar auch an jede*n Einzelne*n.: „Wir müssen aktiver, kommunikativer, streitbarer werden. Ich glaube, da ginge noch viel mehr.“

Für alle, die nach dem Vortrag  noch „mehr“ wollten, signierte der Autor am Büchertisch von Hilberath und Lange sein Werk.

Kirche für Demokratie

Die evangelische Kirche in Mülheim setzt sich ein für Demokratie und Zusammenhalt, für Vielfalt und Toleranz – und ganz klar gegen Rechtsextremismus und demokratiefeindliche politische Strömungen. Der Evangelische Kirchenkreis An der Ruhr ist Teil des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Mülheim stellt sich quer“.

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