„Wie viel Populismus verträgt der Meinungsmarkt?“ hieß es beim Gesprächsabend mit Politikwissenschaftler Karl Rudolf Korte – „Eine ganze Menge“, so die zuversichtliche Antwort des Gastes, der für ein solides Vertrauen auf die „demokratische Mitte“ warb. Die Rolle der Kirche sieht er darin, die „solidarische Mitte“ der Gesellschaft zu stärken. Im Gespräch mit Superintendent Michael Manz nahm Korte die „Wählermärkte“, so der Titel seines jüngst erschienenen Buches, in den Blick. Die Veranstaltung im Mülheimer Haus der Evangelischen Kirche war Auftakt zur Reihe „Unser Kreuz hat keine Haken“, zu der der Kirchenkreis An der Ruhr vor den Europawahlen einlädt.
Zuversichtlich vertraut Korte den „Sicherheitsdeutschen“. „85 Prozent wählen konstant mittig“ und schätzten dabei sogar „langweilige Typen“ an ihrer politischen Spitze. Ganz anders als etwa in den USA, wo ein „demokratischer Transatlantiker“ gegen einen „völkischen Narzissten“ kandidiere. Letztendlich schätzten aber die Deutschen, dass ihre Oberhäupter die Dinge „abarbeiten“ und dem Volk dienen. „Darin drückt sich nicht zuletzt ein demokratischer Stolz der Wähler aus.“ Auch ein „Weimar II“ sei bei den anstehenden Wahlen nicht zu befürchten, selbst wenn das Parteiensystem deutlich bunter werde, so Korte mit Blick auf den „politischen Kaufladen“ mit farbenfrohen Auslagen, den Superintendent Manz auf das Mülheimer Podium mitgebracht hatte. – Können sich diese Sicherheit suchenden Deutschen auf gesellschaftliche Transformation einstellen, das sei die Frage, so Korte.
Masterplan mit fünf Punkten hilft in der komplexen Gesellschaft nicht
„Die Wähler müssen lernen, mit Unsicherheit umzugehen“, wünschte der Politikwissenschaftler. Die komplexer werdende moderne Gesellschaft sei geprägt von Rückkopplungseffekten und dadurch bedingtem Gewissheitenschwund. „Da hilft kein Masterplan mit fünf Punkten“, warf Korte einen kritischen Blick auf scheinbar einfache Lösungsvorschläge (auch) populistischer Machart. Das umfassendste Gesetz könne „kein Problem völlig abräumen. Die Forderung nach Problemlösungen ist oft nicht erfüllbar.“ Mit diesen Anforderungen umzugehen, damit tue sich die Gesellschaft nicht immer leicht, es gelte die „Infrastruktur zu bauen“, die das soziale Gespräch organisiert. „Der Markt, das ist der Ort, wo man eine neue Perspektive bekommt.“
Einen kritischen Seitenblick warf Korte auf die Performance der Berliner Regierungskoalition. „Beim Spitzenpersonal klappt’s noch ganz gut mit der ,versöhnten Verschiedenheit‘“, dahinter werde es schon schwierig. „Heizung, Heer, Haushalt“, alliterierte er die drei Themen, bei denen es in der Koalition knirscht, zum Missfallen der Wähler*innen. Ganz anders als zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, wo drei Frauen unter Leitung von Malu Dreier das Land weitgehend geräuschlos managten. Aber in Berlin regierten halt drei männliche „Matadore“.
,Vogelschiss‘-Diktum“ hat mit dem Grundgesetz nichts zu tun
Erwartbar kritisch ging Korte mit AfD-Positionen ins Gericht, so auch mit dem zitierten Beispiel eines Pfarrers in Sachsen-Anhalt, der sich dem Gauland‘schen Diktum vom „Vogelschiss“ mit Blick auf die Rolle des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte angeschlossen hatte. „Das ist nationalistisch und geschichtsrevisionistisch und hat mit dem Grundgesetz nichts zu tun.“ Dass der Theologe aus Mitteldeutschland sein Amt nicht mehr aktiv ausüben dürfe, „kann ich gut nachvollziehen“, so der Gast in Mülheimer Haus der Kirche. „Eine Gemeinde will doch Menschen zusammenführen, das Miteinander mit Fremden ist doch gerade das Credo hier. Und das verträgt sich nicht mit rassistischer Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzung.“ – Rund einem Drittel der AfD-Wähler attestierte Korte eine solche gefestigte Gesinnung. „Die anderen, die Denkzettelwähler, lassen sich vielleicht noch gewinnen. Die sollte man fragen ,Wovor hast du Angst?“, so Korte.
Kirche muss Infrastruktur für soziales Gespräch mitbauen
Als Rolle der Kirche wie auch der gesamten demokratischen Mitte sieht es Korte, zu schauen: „Wie können wir andere begeistern“ für Gespräch und Perspektivwechsel, dafür, Empathiefähigkeit zu entwickeln? Es gelte, nicht die politischen Ränder zu fokussieren, sondern zu schauen, „Wie erhalten wir unsere Gesellschaft freiheitlich, lebensfähig, tragfähig?“ Die jüngsten Demonstrationen für Vielfalt und Demokratie wertete Korte als Mut machendes Zeichen. „Nie war mehr Aufbruch als jetzt. Die solidarische Mitte hat sich in Bewegung gesetzt. Und natürlich muss auch die Kirche das aufgreifen.“
„Unser Kreuz hat keine Haken“
Die weiteren Termine:
- Montag, 27. Mai, 19.30 Uhr, Buchvorstellung Hendrik Cremer „Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen – in Kooperation mit der Buchhandlung Hilberath und Lange
- Donnerstag, 6. Juni, 19.30 Uhr, „Ist die Demokratie gefährdet? – Eine Analyse von Rechtsentwicklungen in dieser Gesellschaft“, Prof. Wilhelm Heitmeyer
- Die Veranstaltungen finden statt im Haus der Ev. Kirche / Altenhof, Eingang Althofstraße 9. Der Eintritt ist frei. Dazu präsentiert die Buchhandlung Hilberath und Lange jeweils einen Büchertisch.
- Mülheimer Predigtreihe „Unser Kreuz hat keine Haken“ von April bis Juni, alle Termine hier
- Annika Lante
- Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
- 0208. 3003-104
- lante@kirche-muelheim.de