Autor: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz,“ so
lautet ein Sprichwort. Ist das so? Kommt Stolz immer hochmütig und dumm daher?
Oder gibt es auch einen gesunden Stolz? Stimmt schon: Manche zeigen diesen selbstgefälligen
Stolz, der sich völlig überschätzt. Der sich mit Erfolgen brüstet, die bei
Weitem nicht so großartig sind, wie er selbst meint. Und dem darum etwas
Lächerliches anhaftet. Es gibt einen Stolz, der die Nase so hoch trägt, dass er
Stolpersteine oder Hindernisse nicht bemerkt. Wenn er dann stürzt oder vor die
Wand läuft, sind ihm Spott und Schadenfreude gewiss. Dumm ist auch jener
falsche Stolz, der sich weigert, dringend benötigte Hilfe anzunehmen, weil er
sich keine Blöße geben und keine Schwäche eingestehen will. „Ach was, ich
brauche keinen Arzt“ – bis dann doch der Notarzt kommen muss, und es
vielleicht zu spät ist.
Wer so denkt und handelt,
schadet in erster Linie sich selbst.
Aber es gibt auch einen Stolz, der anderen
das Leben schwer macht. Der sie verächtlich macht und niederhält. Da ist der Machtmensch
oder Intrigant, der sich in Erfolgen sonnt, die er auf Kosten anderer errungen
hat, und seinen Triumph über sie mit süffisantem Lächeln auskostet. Den
Unterlegenen bleibt dann nur, zu hoffen, dass ein solcher Hochmut doch irgendwann zu Fall kommt. Dass die
scheinbar unerschütterliche Arroganz der Mächtigen eines Tages an ihren inneren
Widersprüchen, ihrem Größenwahn oder schlicht an einem Stärkeren scheitert und
zerbricht. Und dass die Gedemütigten dann letztendlich doch Gerechtigkeit und
Genugtuung erfahren.
Aber nicht jeder Stolz ist
dumm oder hochmütig. Stolz muss sich auch nicht zwangsläufig gegen andere richten. Vielleicht gibt es ja
auch einen ganz gesunden Stolz. Denn irgendwo braucht ja doch jeder etwas,
worauf er oder sie stolz sein kann, oder? Das muss nichts Sensationelles sein,
nichts, womit ich mich als der Beste oder Größte fühle. Sondern einfach etwas,
womit ich mir sagen kann: Das bin ich
oder kann ich, das zeichnet mich aus,
unterscheidet mich von anderen und macht mich zu dem, der ich bin:
handwerkliches Geschick, sportliche Leistungen, kreative Fähigkeiten, ein
besonderes Wissen, beruflicher Erfolg. Manchmal ist es ein besonderes Ereignis,
das stolz macht: eine gelungene Überraschung, eine bestandene Prüfung. – Stolz
auf die eigenen Kinder? Hier zögere ich etwas. Wenn Eltern ihre Kinder loben
und stolz auf sie sind, kann das die Kinder stärken und ihr Selbstbewusstsein
fördern. Aber wenn Kinder oder Jugendliche unter Druck gesetzt werden, nur dem
elterlichen Ehrgeiz zu folgen, kann sie das schwer belasten.
Musik 1: God bless the child
Titel: God bless the child; Komposition: Freddie
Hubbard; Interpreten: Freddie Hubbard, Cedar Walton, Ralph Moore & Vincent
Herring; Album: God bless the child; Label: 1998 Music Masters Inc.; LC: 13701
Autor: In der Bibel ist vom Stolz fast immer in einem
negativen Sinne die Rede. Vom hochmütigen Stolz gottloser Machthaber, die
Gottes Gebote missachten, ihren Reichtum eitel zur Schau stellen, mit Gewalt
herrschen und das Recht der Schwachen mit Füßen treten. Die Stolzen, so heißt
es, sollen gedemütigt und bestraft, ihr Stolz soll gebrochen und vernichtet
werden. Dann können die Gerechten, die unter ihnen gelitten haben, befreit
aufatmen. Ein wahrhaft Gläubiger ist nicht stolz, sondern demütig. So hat es im
Alten Testament der Prophet Micha formuliert:
Sprecher/in:
„Es ist Dir gesagt, Mensch,
was gut ist und was der Herr von Dir fordert, nämlich: tun, was recht ist, Güte
lieben und demütig sein vor Deinem Gott.“
(Micha 6,8 / Übersetzung
Martin Luther, modifiziert durch den Autor)
Autor: „Demütig sein“ klingt heute für viele ziemlich
unterwürfig. Moderne Bibelübersetzungen meiden es daher und geben es durch
andere Formulierungen wieder: „Aufmerksam mitgehen mit Deinem Gott“ oder
„Nichts tun ohne Deinen Gott.“ Das sind durchaus zutreffende und zeitgemäße
Übersetzungen. Der Prophet selbst hat allerdings schon ein klares Oben und
Unten gemeint: die Menschen sollen sich ehrfürchtig unter Gottes himmlische
Majestät unterordnen. Da alle Staaten damals Königreiche waren, hat man sich
auch Gott wie einen König vorgestellt. Aber nicht als himmlischen Tyrannen,
sondern als einen Herrscher, der Gerechtigkeit will. Keine bloß formale Gerechtigkeit
nach dem Buchstaben des Gesetzes, sondern eine, die den Menschen dient und auch
mal Gnade vor Recht ergehen lassen kann. Tun, was recht ist, und Güte lieben:
das ist es, was Gott von den Menschen fordert und woran auch erkennbar sein
soll, wie ernsthaft ihr Glaube ist.
Demut soll nach den Worten
des 1.Petrusbriefes auch in der christlichen Gemeinde den Ton angeben:
Sprecher/in:
„Wahrt im Umgang miteinander
Demut. Denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
So demütigt Euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er Euch zu seiner
Zeit erhöhe.“
(1.Petrus 5,5-6 / Übersetzung
Martin Luther, modifiziert durch den Autor)
Autor: Demut zählt seit je her zu den christlichen Tugenden.
Aber kaum etwas anderes ist auch so schwerwiegend missverstanden und missbraucht
worden. Es gibt nicht nur einen falschen Stolz,
sondern auch eine falsche Demut. Eine
berechnende Demut etwa, die nur
bescheiden daherkommt, um sich damit irgendetwas zu erschleichen. Oder eine
Demut, die nur verkappter Hochmut
ist: eine freundlich lächelnde Fassade, hinter der einer verächtlich auf alle
herabsieht, die nicht so untadelig sind, wie er selbst zu sein glaubt. Und es
gibt diese Demut, die man Untergebenen gepredigt hat, um sie zu beherrschen.
Wer demütig ist, fügt sich. Der begehrt nicht auf. Der rebelliert nicht. Der
stellt keine Forderungen. Der neigt dazu, seine Lage oder das, was ihm
widerfährt, als sein Schicksal oder auch als gottgegeben hinzunehmen. So wird Demut
zum Herrschaftsinstrument, mit dem Menschen gedemütigt werden.
So verstanden ist Demut für
mich ein schwieriges Wort, und ich bin in diesem Sinne auch kein demütiger
Mensch. Demütig sein vor Deinem Gott? Der Gott, an den ich glaube, will niemanden
zu Kreuze kriechen sehen. Er will, dass ich aufrecht vor ihn trete und auch
anderen aufrichtig begegne. Da kann Demut nicht Unterwürfigkeit bedeuten. Um
dieses schwierige Wort anders zu verstehen, möchte ich mal einen Blick darauf
werfen, wie es außerhalb kirchlich-religiöser Zusammenhänge verwendet wird.
Musik 2: D.D. Blues
Titel: D.D.Blues; Komposition: Ricky Ford;
Interpret: Ricky Ford; Album: Hard Groovin‘; Label: Muse Records; MCD 5373
Autor: Vor langer Zeit ist mir das Wort „Demut“ einmal in
einem ganz anderen Zusammenhang begegnet, nämlich in der Musik. Ich habe damals
in einer Band mit einem Trompeter zusammengearbeitet, einem selbstbewussten
Musiker, der gern solistisch hervorgetreten ist und das auch hervorragend
konnte. Einmal hat er mir von Proben für ein Konzert berichtet, in dem er keine
Soli zu spielen, sondern in einem kleinen Ensemble einen Solisten zu begleiten
hatte. Ein Begleiter muss nicht sich selbst, sondern den Solisten in den
Vordergrund stellen, seiner Melodie folgen, sie rahmen, sie untermalen und so
noch verstärken. Als der Trompeter mir davon erzählte, sagte er lachend: „Da
kann man ganz schön Demut lernen.“
Demut als die Kunst des
Begleitens. Gerald Moore war einer der ganz großen Pianisten des 20. Jahrhunderts.
„Bin ich zu laut?“, so hat er seine Lebenserinnerungen überschrieben. Untertitel
„Erinnerungen eines Begleiters“. Moore hat viele weltberühmte Sängerinnen und
Sänger begleitet. Dabei konnte er sogar mühelos höher oder tiefer spielen, als
es in den Noten stand, um sich der Stimmlage oder Tagesform des Sängers optimal
anzupassen. In dieser dienenden Rolle ist er ihnen nie ein bloßer
Klavierknecht, sondern immer ein künstlerisch gleichwertiger Partner gewesen.
Dasselbe gilt auch in der
ganz anderen musikalischen Welt des Jazz, in dem die Improvisation eine
entscheidende Rolle spielt. Was die großen Big Bands spielen, ist natürlich in
Noten aufgeschrieben. Aber in den kleinen Combos hat der Begleiter, zum
Beispiel der Pianist, keine fertigen Noten, sondern nur Buchstaben- und Zahlenkürzel.
Die Akkorde, für die sie stehen, kann er auf ganz verschiedene Weise
zusammensetzen und spielen. Wie er es macht, muss auch er im Augenblick spontan
und intuitiv entscheiden und dabei ganz genau auf den Solisten hören. Ja, er
muss sogar fast schon im Voraus spüren, worauf der Solist hinaus will, um auf
den Punkt genau mit ihm zusammen zu sein.
Musik 3: All Blues
Titel: All Blues; Komposition: Miles Davis;
Interpreten: Freddie Hubbard, Cedar Walton, Ralph Moore & Vincent Herring;
Album: God bless the child; Label: 1998 Music Masters Inc.; LC: 13701
Autor: Solches Begleiten ist eine hohe Kunst. Niemand, der
auch nur ansatzweise etwas von Musik und überhaupt vom Leben versteht, wird
diese Kunst geringer schätzen als die des Solisten. „Da kann man ganz schön
Demut lernen“ – eine so verstandene Demut hat nichts
Demütigendes, Herabwürdigendes an sich. Demut ist die hohe Kunst des
Begleitens. Nicht nur in der Musik, sondern im Leben überhaupt. Zum Beispiel in
der Pädagogik: Kinder zu erziehen heißt ja nicht, sie zurechtbiegen und in
vorgegebene Raster einpassen zu wollen, sondern sie zu begleiten, ihre Begabungen
zu entdecken und zu fördern, sie zu stärken und zu ermutigen und ihnen zu
helfen, ihren eigenen Weg zu finden.
Demut heißt dann: sich selbst
zurücknehmen zu können. Andere gelten
zu lassen, sie zu unterstützen, ihre Leistungen zu würdigen und ihnen die
Anerkennung, die sie dafür erfahren, nicht zu neiden. Es bedeutet, eigene
Grenzen zu kennen und auch bereit zu sein, von anderen zu lernen. In modernen
Management-Konzepten ist das eine wichtige Fähigkeit, die gerade Führungskräfte
brauchen. Dafür wird bisweilen sogar das Wort „Demut“ verwandt. Der
amerikanische Philosophieprofessor Robert Solomon sagt dazu:
Sprecher/in:
„Demut muss nicht erbärmlich
sein; sie ist oft nicht mehr als eine realistische Einschätzung des eigenen
Beitrags und die Anerkennung des Beitrags anderer.“
(Wikipedia-Artikel „Demut“)
Autor: So verstanden heißt Demut: sich als Teil eines
größeren Ganzen, als Teil einer Gemeinschaft zu sehen. In ihr und für sie
Verantwortung zu übernehmen. Mit den eigenen Kenntnissen und Erfahrungen zum
Gelingen des Ganzen beizutragen und die anderen nicht nur als Kulisse für die
eigene Selbstdarstellung zu benutzen. Sich in sachlichen Fragen zu einigen ist
oft deshalb so schwer, weil es genau daran fehlt. Weil es in Wahrheit gar nicht
um die Sache, sondern um persönliche Empfindlichkeiten oder Machtkämpfe geht.
Wer hat hier zu sagen? Wer ist hier der Chef im Ring? Das sind oft die
eigentlichen Fragen, die hinter manchen hitzigen Debatten oder alltäglichen
Rangeleien stehen.
Musik 1: God bless the child
Autor: Natürlich kann ich nicht immer nachgeben und soll es
auch nicht. Manchmal muss ich hart bleiben, muss auf etwas bestehen und klare
Kante zeigen. Aber tue ich das wirklich immer aus gutem Grund, um der Menschen
oder um der Sache willen, für die ich streite
– oder manchmal doch aus eher
zweifelhaften Beweggründen? Aus Eitelkeit? Aus Rechthaberei? Weil ich fürchte,
niemand zu sein, wenn ich nicht diesen oder jenen Rang bekleide oder nicht
ständig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe?
Demut heißt dagegen: von
solchen Zwängen frei zu sein. Gelassen und mit einer inneren Sicherheit, die es
nicht nötig hat, sich dauernd in den Vordergrund zu drängen und den Beifall
anderer einzufordern. Dazu kann mir auch der Glaube eine große Hilfe sein. Der
Glaube an Gott, der alles Leben erschaffen hat, der das ganze Universum erfüllt
– und der mir zugleich als treuer Freund
und Begleiter zur Seite steht. Wie dieses beides zusammengeht, hat den Dichter
des 8.Psalms in Erstaunen versetzt. Er kann es kaum fassen:
Sprecher/in:
„Wenn ich den Himmel sehe,
das Werk Deiner Hände, den Mond und die Sterne, die Du gemacht hast: was ist
der Mensch, dass Du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass Du Dich seiner
annimmst? Nur wenig niedriger als Dich selbst hast Du ihn gemacht. Mit Ehre und
Herrlichkeit hast Du ihn gekrönt.“
(Psalm 8,4-6 / Übersetzung
Martin Luther, modifiziert durch den Autor)
Autor: Der Dichter verneigt sich ehrfürchtig vor seinem
Gott. Mit einer Demut, die ihn nicht erniedrigt, sondern aufrichtet und ihm
seine menschliche Würde bewusst macht. „Nur wenig niedriger als Gott“ – was
für eine Aussage! So verstehe ich auch die Worte des 1.Petrusbriefes: „Demütigt
Euch unter Gottes Hand, damit er Euch zu seiner Zeit erhöhe.“ Beides geschieht
zugleich, das eine im anderen und durch das andere. „Zu seiner Zeit“ ist nicht
irgendwann, sondern jetzt. Jedes Mal, wenn ich mich an Gott wende. Demütig vor
ihn zu treten heißt: mit leeren Händen vor ihn zu treten –
nicht kniefällig oder unterwürfig, sondern aufrecht und frei – und gewiss,
ihm nichts beweisen zu müssen, sondern von ihm als der Mensch bejaht zu sein,
der ich bin.
Dieser Glaube stärkt mich
darin, auf das stolz zu sein, worauf ich mit Recht stolz sein kann, und mich
auch über die Anerkennung zu freuen, die ich dafür erfahre. Zugleich bewahrt er
mich davor, mich ständig mit anderen zu vergleichen und mein Selbstwertgefühl
davon abhängig zu machen, besser, größer oder stärker zu sein als sie. Mit Ehre
und Herrlichkeit hat Gott uns Menschen gekrönt
– so heißt es in Psalm 8. Mit
diesem Glauben fällt mir so schnell kein Zacken aus der Krone, die Gott mir
verleiht. So kann ich in der Rolle des Begleiters hinter anderen zurücktreten,
sie fördern, ihnen zum Erfolg verhelfen und darin auch selbst Zufriedenheit und
Erfüllung finden. Und vielleicht auch die Anerkennung derer, die die hohe Kunst
des Begleitens zu würdigen und zu schätzen wissen.
Musik 4: Chisa
Titel: Chisa; Komposition: ist Abdullah Ibrahim; Album: Abdullah
Ibrahim & Ekaya: African River; LC 3126
Autor (overvoice): Einen entspannten Sonntag und ein gut begleitetes
Jahr 2022 wünscht Ihnen Pfarrer im Ruhestand Johannes Doering aus Unna.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth