Pressemitteilung

"Ich konnte nie mit Alkohol umgehen"

Diakonie

  • Nr. Fußballprofi und Alkoholiker – jahrelang führte Uli Borowka ein Doppelleben. Davon erzählt er in seiner Biografie, aus der er am Montag um 18 Uhr im Altenhof auf Einladung des Ambulatoriums liest. Einen ersten Einblick gibt er hier im Interview.
  • 7.6.2017
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Fußballprofi und Alkoholiker – jahrelang führte Uli Borowka ein Doppelleben. Während der Abwehrspieler mit Werder Bremen große Erfolge feierte und in der Nationalmannschaft antrat, war er alkoholabhängig. Inzwischen ist Uli Borowka seit 15 Jahren trocken und hat über seine Erfahrungen ein Buch geschrieben: „Volle Pulle – Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“. Auf Einladung des Ambulatoriums – der Beratungs- und Behandlungsstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängige, Spielsüchtige sowie deren Angehörige des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr – liest er daraus am Montag, 12. Juni, um 18 Uhr im Altenhof, Althofstraße 9 (Eingang durch den Innenhof). Im Gespräch mit der Mülheimer Diakonie gibt Uli Borowka einen ersten Einblick in seine Biografie.

Herr Borowka, wenn man mit Menschen über Sie spricht, hört man oft Sätze wie: „Der war immer für einen Spruch gut“ oder „Der war immer unterhaltsam“. Nun waren Sie während Ihrer Karriere als Fußballer alkoholabhängig und während Interviews oft betrunken. Wie klingen solche Kommentare im Rückblick für Sie?
Uli Borowka: Ich sag mal – das war zu der Zeit mein Leben, in der Öffentlichkeit zu stehen und zu feiern, den Leuten gerecht zu werden, so zu sein, wie andere es erwarten. Deshalb verstellt man sich auch. Übrigens bin ich auch heute noch immer für einen Spruch gut – aber ohne Alkohol. Aber ich kann die Kommentare nachvollziehen, weil Alkohol eine akzeptiere Droge ist.

Die Menschen akzeptieren, wenn jemand betrunken ist. Ist es eher so, dass man seltsam angeguckt wird, wenn man keinen Alkohol trinkt?
Ja, und das ist das Problem. Ich gehe auch in Jugendzentren und Schulen und, wenn ich mit Jugendlichen spreche, ist es mir wichtig zu sagen: Komasaufen ist nicht cool. Da ist man ganz schnell beim Gruppenzwang. Mir ist es wichtig, Jugendlichen die Gefahren klar zu machen. Aber ich sage auch: Jeder, der alt genug ist, ist für sich selbst verantwortlich. Aber Erwachsene sind beim Alkoholkonsum nun mal Vorbilder für Kinder – und im Moment sind wir verdammt schlechte Vorbilder.

 

Sie haben während Ihrer Zeit als aktiver Sportler jeden Tag einen Kasten Bier plus Schnaps getrunken. Wie kam es dazu?
Das waren viele Bausteine. Ich bin mit 15 in die Lehre als Maschinenschlosser gegangen und da trank man mittags Bier. Gleich am ersten Tag wurde mir eins in die Hand gedrückt. Am zweiten Tag habe ich mir mit einem anderen Azubi eine Flasche Apfelkorn geteilt. Ich konnte nie mit Alkohol umgehen; ich konnte nie nach zwei Gläsern aufhören und sagen: Es reicht. Während meiner Zeit als Fußballer hatte ich unheimlichen Druck, weil ich leistungsbezogene Verträge hatte. Ich hatte Versagensängste.

Aber so eine Alkoholsucht lässt sich nur schwer verheimlichen. Haben die Menschen um Sie das in Kauf genommen haben, so lange Sie Ihre Leistung gebracht haben?
Es haben alle gewusst. Aber es konnte mir keiner helfen. Viele Leute lügen heute, wenn Sie sagen, sie hätten nichts gemerkt. Ehrlich wäre, zu sagen: Wir wussten es, aber er hat keine Hilfe angenommen. Denn so war es. Aber wir leben nun mal in einer Leistungsgesellschaft; und wer seine Leistung bringt, kann einmal in der Woche vom Stuhl fallen.

Wie kam es dann, dass Sie schließlich doch Hilfe angenommen haben? Gab es einen Punkt, an dem Sie gedacht haben: So geht es nicht weiter?
Einen Tiefpunkt hatte ich nicht; ich hatte viele Tiefpunkte. Ich hatte mehrere Autounfälle mit 1,8 Promille. Ich bin im Delirium acht Meter tief eine Brücke runtergefallen. Das hat alles nicht gereicht. Aber dann hat mich eines Morgens Christian Hochstätter von Mönchengladbach gesehen und er hat Wilfried Jacobs angesprochen. Der war Präsident von Borussia Mönchengladbach und Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland. Zusammen haben sie hinter meinem Rücken für mich einen Platz in einer Klinik klar gemacht. Da bin ich dann auch hin. Ich habe gedacht: Du hast da ein Dach über dem Kopf und was zu essen. Ich wollte drei Wochen bleiben und dann wieder in Ruhe trinken. In den ersten Wochen war ich der Meinung, dass alle 200 Patienten dorthin gehören – alle, außer mir. Letztlich bin ich dann aber vier Monate geblieben.

Das Team des Ambulatorium merkt bei seiner Arbeit immer wieder, dass Alkoholsucht immer noch ein Tabu-Thema ist. Viele Betroffene schämen sich. Warum sind Sie mit Ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen?
Ich hatte mich ja zehn Jahre aus der Öffentlichkeit verabschiedet, um mit mir ins Reine zu kommen. Meine Frau hat mich dann überredet, das Buch zu schreiben. Aber es sollte keine banale Biografie werden, sondern etwas, womit nicht nur Fußballfans, sondern auch Alkoholkranke etwas anfangen können.

Haben Sie Rückmeldungen bekommen, dass sie anderen Abhängigen geholfen haben?
Tausende. Ich muss ehrlich sagen, damit habe ich vor fünf Jahren, als wir das Buch veröffentlicht haben, nicht gerechnet. Aber wir sind alle Nase lang mit Leuten konfrontiert, die sich bei uns melden und Hilfe suchen. Wir leiten sie dann an Stellen weiter. Deshalb haben wir auch den Verein „Uli Borowka Suchtprävention und Suchthilfe“ gegründet. Das ist eine sehr schöne Sache und wir arbeiten weiter mit daran, den Leuten zu helfen. Denn ich bin in ganz Deutschland unterwegs und ich sehe, woran es hakt – nicht nur in Großstädten, sondern auch auf dem Land. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war 16 Jahre alkoholkrank, dazu 14 Jahre medikamentenabhängig und vier Jahre spielsüchtig. Ich spreche Dinge an und nehme kein Blatt vor den Mund.

Spielen Sie denn heute noch Fußball?
Nein. Ich hatte vor kurzem eine schwere Operation. Mein Knie besteht nur noch aus Zement und Metall. Ich bin froh, dass ich Fahrrad fahren kann. Ich muss kleine Brötchen backen, auch wenn es mir schwer fällt.

ZUR PERSON
Uli Borowka ist ein ehemaliger Bundesliga- und Nationalspieler. 1981 begann er seine Karriere bei Borussia Mönchengladbach. 1987 wechselte er zu Werder Bremen, absolvierte insgesamt 388 Bundesligaspiele, 80 Europapokalspiele und sechs A-Länderspiele. Mit Werder Bremen holte Borowka zudem je zweimal die Meisterschale, den DFB-Pokal und gewann 1992 den Europapokal. Zugleich führte er ein Doppelleben als Alkoholiker. Nachdem im März 1996 einen Selbstmordversuch überlebte, folgten – wie es auf Uli Borowkas Homepage heißt – „vier Jahre in der Alkoholiker-Hölle, ehe alte Freunde aus Fußballerzeiten“ ihn in eine Suchtklinik einlieferten. Seitdem ist er trocken. Seine Biografie „Volle Pulle“ erschien 2012. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Claudia und weiteren Gründungsmitgliedern gründete er 2013 den Verein „Uli Borowka Suchtprävention und Suchthilfe e.V.“, mit dem er die Akzeptanz und den Umgang von und mit suchterkrankten Menschen in der Gesellschaft verbessern möchte.