Pressemitteilung

Inklusion in Theorie und Praxis

Diakonie

  • Nr. Wie kann das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung offener gestaltet werden? Dieser Frage gingen über 100 Teilnehmende beim Fachtag Inklusion nach, den das Diakonische Werk Mülheim und Caritas-Sozialdienste e.V. gemeinsam veranstalteten
  • 26.4.2018
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Im Altenhof, dem Haus der Evangelischen Kirche, hörten die Anwesenden Fachvorträge und diskutierten in kleinen Gruppen darüber, wie Inklusion in der Praxis ausgestaltet werden kann und muss. Nach mehr als drei Stunden lebendiger Auseinandersetzung unter dem Titel „Theorie trifft Praxis“ zog Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, Rektorin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und Hauptrednerin des Tages, ein ermutigendes Fazit, das zugleich als Auftrag zu verstehen ist: Zwar sei der Weg zu einer wahrhaft inklusiven Gesellschaft noch weit, doch „wir haben innerhalb kurzer Zeit schon viel erreicht“. (Link zum ausführlichen Interview mit Prof. Graumann siehe unten)

Es war das zweite Mal, dass sich Diakonie und Caritas mit Inklusion beschäftigt haben: Im Sommer 2016 luden die Mülheimer Wohlfahrtsverbände gemeinsam zu einem Inklusionsfest auf den Kirchenhügel. Nach diesem lockeren Auftakt ging es diesmal um die inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema. Für Hartwig Kistner, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr, ist das ein Zeichen, dass die Kooperationspartner auf Nachhaltigkeit setzen und aktiv daran mitwirken wollen, dass „das 100-Jahre-Projekt Inklusion“ im Sinne der Menschen gelingt: „Wir haben uns aufgemacht, für Inklusion einzutreten“, betont Hartwig Kistner und: „Wir haben die Hoffnung, dass es ein gesellschaftliches Thema ist, das in Mülheim auf Resonanz trifft.“

Diese Hoffnung hat sich beim Fachtag Inklusion erfüllt. Mehr als 100 Menschen – Fachleute, Betroffene, Praktiker, Politiker und Interessierte – nutzten die Gelegenheit, sich mit Inklusion zu beschäftigen und damit mit einem Thema, das wie Stadtdechant Michael Janßen in seiner Begrüßung hervorhob, ein ur-christliches ist: „Als Christen dürfen und können wir es nicht zu lassen, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Wir müssen die Stimme sein für Menschen, deren Würde mit Füße getreten wird.“

Im Altenhof konnten bei dem Tag, der von Pfarrerin Barbara Montag als Leiterin der Stabsstelle Theologie und Grundsatzfragen der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) moderiert wurde, viele Stimmen zum Thema gehört werden: Den Anfang machte Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann mit einem Impulsreferat, das Grundlegendes zur UN-Behindertenrechtskonvention erläuterte. Denn der Rektorin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, die sich in Forschung und Lehre schwerpunktmäßig mit wissenschaftsethischen Fragen beschäftigt, war es wichtig zu betonen, dass „es ein verbindliches Dokument gibt, das die Bundesregierung und auch die Länder verabschiedet haben“. (Näheres siehe Interview)

Im World Café kamen die Teilnehmenden des Fachtags dann ins Gespräch: An sieben Themen-Tischen standen Fachleute bereit, die die Diskussionen moderierten, deren Ergebnisse festhielten und anschließend bei einem Podiumsgespräch vorstellten. Über Inklusion in der „Kita“ konnten Interessierte mit Irmgard Handt von der Abteilung für Soziales und Beratung der Caritas Oberhausen sprechen. Beatrix Reißland-Degen, Erzieherin in einer Offenen Ganztagsgrundschule der Diakonie Mülheim, lud zum Austausch über die schulische Inklusion ein und Anna Schewerda vom Mülheimer Sozialamt sprach über „Teilhabe im Alter“. „Familien“ standen am Tisch von Reinhild Mersch im Mittelpunkt, denn, so die Fachfrau der Caritas für das Bistum Essen, „es ist ein riesen Thema, dass behinderte Kinder gut in ihrer Familien leben können. Aber es gibt noch viel Entwicklungspotenzial, um das positiv zu gestalten.“ Viel Gestaltungsspielraum gibt es auch beim Themenfeld „Arbeit, Ausbildung, Beschäftigung“, wie Judith Seibert, Teamleiterin für Rehabilitation und schwerbehinderte Menschen bei der Arbeitsagentur Oberhausen, einräumte: „Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis das Kostenrecht so zusammengefasst ist, dass alles aus einer Hand kommt und alle dieselben Rechte haben.“ Rund ums Wohnen kamen Interessierte am Tisch von Frank Esser ins Gespräch, Geschäftsführer der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft. Abgerundet wurde das Angebot durch den Bereich „Freizeit, Sport und Kultur“, den Alfred Beyer als Vorsitzender der Mülheimer Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen (AGB) und Gründungsmitglied der Vereins für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (VBGS) betreute.

 

Den Abschluss des Fachtags gestaltete Kabarettist Rainer Schmidt – und verstand es dabei, seine Zuhörer/-innen zugleich zum Lachen und ins Grübeln zu bringen. „Wann ist man behindert?“, wollte der evangelische Pfarrer und Sportler, der als Tischtennisspieler bei den Paraplymischen Spielen Gold- und Silbermedaillen gewonnen hat, da wissen und hatte die Antwort gleich parat: „Wenn man etwas nicht kann, klar.“ Aber was ist dieses Etwas? Ein Handstand? Sind alle Nicht-Klavierspieler behindert? Einen neuen Blickwinkel auf Behinderungen, auf „Betroffene“ und Betroffenheit ermöglichte Rainer Schmidt durch seine persönliche Sichtweise, wurde er doch ohne Unterarme und mit einem verkürzten rechten Oberschenkel geboren. „Ich bin Experte in eigener Sache“, sagt er. Sein Vortrag war mitreißend und berührend zugleich und hat viel Spaß gemacht.

Wer sich für mehr von Rainer Schmidt interessiert: Viele seiner öffentlichen Auftritte sind bei YouTube ganz legal einzusehen. Außerdem wird er in einigen Monaten wieder live in Mülheim zu sehen sein. In Styrum bei der Lukas-Kirchengemeinde mit dem Programm: „Däumchen drehen“ am Dienstag, 30. Oktober 2018, um 19.30 Uhr an der Kaiser-Wilhelm-Straße 21a. Der Eintritt beträgt 10 Euro. Gemeindekontakt: Pfarrer Michael Manz; manz@kirche-muelheim.de