Wie Gemeinden Fusions-Ängste überwinden

Weniger Mitglieder, weniger Geld: Immer mehr Kirchengemeinden in Deutschland schließen sich zusammen oder kooperieren miteinander. Bei der Evangelischen Kirche im Rheinland begleiten Mirjam Steinhard, Claudia Zimmer und ihr Beratungs-Team diese Prozesse.

Für Claudia Zimmer war es ein dickes, hartes Brett zu bohren. Zwei Kirchengemeinden wollten sich zusammenschließen, eine dritte sollte hinzukommen. Ob die Chemie stimmen würde, war bis zum Schluss überhaupt nicht klar, gab es doch allerhand Ängste. Der Ausweg: Die beteiligten Gemeinden veranstalteten eine gemeinsame Klausurtagung, bei der unter anderem alle Ängste auf den Tisch kamen. Mit Erfolg – denn am Ende der Veranstaltung gab es bereits erste Ideen für eine Fusion.

Große Nachfrage

„Jetzt sind die Gemeinden so weit, dass sie sich in zwei Jahren zusammenschließen können“, sagt Claudia Zimmer. Sie und ihre Kollegin Mirjam Steinhard sind bei der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) für die Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung zuständig. Dabei unterstützen nebenberuflich Mitarbeitende die beiden Hauptamtlichen. Das sei unbedingt notwendig, könnten sie die vielen Anfragen aus dem Kreis der 627 Gemeinden und 37 Kirchenkreise der EKiR alleine doch gar nicht stemmen. Die große Nachfrage zeigt für beide: Der Zusammenschluss von Kirchengemeinden steht ganz oben auf der Tagesordnung. Der Grund in erster Linie: Das Kirchensteueraufkommen geht zurück, weil immer weniger Menschen Mitglied der Evangelischen Kirche sind.

Unterschätzte Emotionen

„Zahlen, Daten und Fakten sind die eine Seite“, sagt Mirjam Steinhard. „Es gibt aber auch die andere Seite der Emotionen.“ Die fangen beide Organisationsentwicklerinnen auf, indem sie mit den beteiligten Gemeindemitgliedern und Kirchenvorständen darüber ins Gespräch kommen. Die auftretenden Emotionen sind Bestandteil eines der vier großen Schwerpunktthemen: An erster Stelle steht die Frage nach der Identität. Hinzu kommen die Themen Finanzen, Recht sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.Zuständig für jeden Schwerpunkt ist eine Steuerungsgruppe, die aus Mitgliedern der Kirchenvorstände sowie „benannten Menschen mit Expertise“ bestehen, so Claudia Zimmer. Ihre Erfahrung: Jeweils einer oder eine aus der jeweiligen Gruppe müsse verantwortlich den Hut aufhaben.

Kommunikation ist zentral

Dies gilt gerade auch für das so wichtige Thema der Identität. Hierzu gehören unter anderem die Geschichte(n) und Tradition(en) jeder einzelnen Kirchengemeinde. „Darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, braucht Zeit“, weiß Mirjam Steinhard. Identität habe einen so hohen Stellenwert in den Gemeinden, dass es in allen Gesprächen „als eine Tonspur“ immer mitlaufe. „Die zweite Tonspur ist die Kommunikation nach innen und nach außen“, fährt Steinhard fort. Sie und ihre Kollegin wissen: Nichts ist schlimmer als der berühmt-berüchtigte Buschfunk. „Wir fragen die Beteiligten auch danach, warum für sie keine Fusion infrage kommt“, betont die Beraterin. „Dann liegen alle Ängste auf dem Tisch.“

Von der Annäherung zum Zusammenschluss

Wenn das Team der EKiR mit den Gemeinden beziehungsweise ihren Vertreter*innen arbeitet, geschieht dies in fünf Phasen: Zunächst die Annährung. An ihrem Ende sollte der Absichtsbeschluss stehen – die Gemeinden tun sich zusammen. Es folgt die Vorbereitung, bei der alle Zahlen, Daten und Fakten auf den Tisch kommen. Anschließend beschäftigen sich Arbeitsgruppen etwa mit dem neuen Haushalt, der Organisation der Kirchenmusik und Jugendarbeit oder anderen Fragen. In Phase vier beantragen die Gemeinden ihren Zusammenschluss bei der Landeskirche, und zuletzt wird er umgesetzt. Die  benannten vier Schwerpunktthemen sind Bestandteil jeder einzelnen Phase des Zusammengehens – wobei sich Steinhard und Zimmer um die Identität und die Kommunikation kümmern. Die beiden Themen Recht und Finanzen sei Aufgabe der Spezialist:innen in den entsprechenden Abteilungen des Landeskirchenamts. Für alle indes gilt das, was Claudia Zimmer erläutert: „Wir versuchen, den Prozess zu gestalten.“

 

  • 13.11.2023
  • Ulf Buschmann / evangelisch.de