So wünschen sich Jugendliche ihre Kirche

In Köln endete im April die fünfjährige Laufzeit der Partizipationsprojekte #Jugendstyle – Jugend misch mit. Jugendliche, Jugendreferent*innen und Jugendpfarrer*innen aus den vier Projekten sendeten einen eindrucksvollen Appell an die Kirchenleitung: „Es muss weitergehen.“ Und genau das ist der Plan.

Wenn Tyler Punte von seiner „Homechurch“ erzählt, dann beginnen die Worte zu sprudeln. „Bei uns treffen wir Entscheidungen gemeinsam“, sagt er. Das gilt für die Wandfarbe im Jugendraum, für die Sitzmöbel für den Jugendgottesdienst oder das gemeinsame Abendessen. „Wir reden mit“, sagt Tyler. Die Jugendlichen aus dem Kirchenkreis Jülich berichten an diesem Apriltag aus ihrem Alltag mit der „Jugendkirche“ – und sie schwärmen in höchsten Tönen. Jeder von ihnen habe etwas Verantwortung übernommen, einer kümmere sich um die Finanzen, ein anderer leite das Sanitätsteam und einer von ihnen habe nun Schlüsselgewalt im Jugendraum.

Startschuss fällt vor fünf Jahren

Jugendpfarrer Felix Schikora hat sich mit fünf Jugendlichen aus dem Kirchenkreis Jülich auf den Weg nach Köln gemacht. Vor fünf Jahren ging die Jugendkirche als eines von vier Partizipationsprojekten im Raum der Evangelischen Kirche im Rheinland an den Start. Jetzt endet der Projektzeitraum. Zum offiziellen Abschluss treffen sich die Vertreter*innen der Steuerungsgruppe, Jugendliche, Jugendreferent*innen und Jugendpfarrer*innen gemeinsam mit Vertreter*innen der Kirchenleitung – um die Zeit Revue passieren zu lassen und nach vorne zu blicken.

Kein Angebot für, sondern von Jugendlichen

Im Kirchenkreis Jülich ist in den vergangenen fünf Jahren ein starkes Team gewachsen. Synodale Parallelstrukturen für die Jugendlichen sind geschaffen worden, sie haben Aufgaben übernommen und im Kreis von fünf Gemeinden ein kirchliches Netzwerk für sich geschaffen. Hier wird kein Angebot für Jugendliche gemacht, Jugendliche machen das Angebot. „Konfirmanden gehen jetzt nicht mehr einfach verloren, wir haben stabile Beziehungen aufgebaut, ganz verschiedene Charaktere gewonnen“, sagt Felix Schikora – erzählt aber auch von den Hürden, Kirche immer erstmal erklären zu müssen.

John Bleeser (links) und Leon Peter Müller aus dem Kirchenkreis Altenkirchen.

„,Feel the Church‘ – das sind wir“

Wer mit John Bleeser und Leon Peter Müller ins Gespräch kommt, spürt ebenfalls schnell die Begeisterung der beiden jungen Männer: Sie klopfen sich lachend auf ihre Pullover mit dem eindrucksvollen Logo „Feel the church“. „Das sind wir“, sagen die beiden und stellen dann ihren Bauwagen vor, mit dem sie seit einem Jahr im Kirchenkreis Altenkirchen unterwegs sind. Naturgottesdienste, Kinoabende, auch mal eine Influencer-Week: So sieht die junge Kirche im Westerwald aus. „Ich habe jetzt begriffen: Kirche ist mehr als das Gebäude, das die Glocken spielt“, sagt John Bleeser. Natürlich sei nicht immer alles rund gelaufen. „Aber wir sind jetzt sichtbar in unserer Kirche“, sagen die beiden jungen Männer und Leon Peter Müller ergänzt: „Wenn ich gewusst hätte, dass es so sein kann, wäre ich viel früher dazugekommen.“

Jugendliche schauen über Glockenturm hinaus

Auch in Kleve hat Jugendreferentin Yvonne Petri mit Jugendlichen auf ein bewegliches Konzept gebaut – und ein Wohnmobil angeschafft, ihm während eines Sprayer-Workshops ein eigenes Gesicht verpasst und Pläne geschmiedet. Das Wohnmobil fährt inzwischen nicht mehr. „Aber die Idee lebt“, betonen Steve Krüger und Tristan Hartmann aus Kleve: Endlich sei es gelungen, auch als Jugendliche über den eigenen Glockenturm hinaus zu schauen. „Das ist ein guter Spirit im Kirchenkreis“, finden die beiden. Sie wollen jetzt ihre Idee „Sonder-Bar – auf einen Cocktail mit Gott“ zum Leben erwecken. Ohne Wohnmobil, aber weiter mit dem Gedanken, mit der „Sonder-Bar“ durch den Kirchenkreis zu ziehen. „Es geht also weiter“, sagt Yvonne Petri – genauso wie die Projektträger der anderen Kirchenkreise.

Die Steuerungsgruppe der Jugendpartizipationsprojekte auf der Abschlussveranstaltung in Köln.

„Unser Wording ist mies“

Dass es weitergeht, hofft auch das Team aus dem Kirchenkreis Gladbach-Neuss. Dort hatten sich die Jugendreferent*innen mit der Kernaufgabe des Projekts befasst – und die Strukturen unter die Lupe genommen : Was brauchen Jugendliche, um in der Gemeinde und im Kirchenkreis einen Platz zu finden, teilzuhaben, mit zu entscheiden? Sie gingen ans Eingemachte. Fünf Jahre später bringt das Team eine klare Erkenntnisse mit nach Köln: „Unser Wording ist mies“, stellen sie fest. Partizipation, Synodaler Jugendausschuss, Sitzung: „Wir arbeiten mit Begriffen, die unser Klientel nicht gut versteht“. Und welche Jugendlichen ließen sich für lange Sitzungen bis tief in die Nacht gewinnen, bei denen sie am Ende nicht wissen, ob sie überhaupt etwas bewirken konnten?

Mitarbeit in Kreissynode für Jugendliche unattraktiv

Diese Erkenntnis bestätigt dann auch Elke Bruckner, die sich um die Evaluation des Projektes gekümmert hatte: 229 Jugendliche und 190 Erwachsene aus den vier Kirchenkreises hatten an ihrer Umfrage teilgenommen. Das Ergebnis: Eine Mitarbeit in der Kreissynode oder im Synodalen Jugendausschuss können sich Jugendliche fast gar nicht vorstellen. „Sie tendieren eher zum Nahfeld“, berichtet Elke Birckner, „also zu ihren eigenen Gemeinden.“ Aber auch hier würden lange und späte Termine abschrecken, das Zeitbudget der Jugendlichen sei beschränkt, sie seien nicht mobil, den Themen der Gremien fehle der Bezug zu ihrer Lebenswelt. Und: Sie nähmen eine fehlende Bereitschaft zur Veränderung wahr.

Nadine Schlutzkus, Jugendreferentin im Kirchenkreis Gladbach-Neuss

„Müssen die Ergebnisse erst nehmen“

„Wir müssen diese Ergebnisse jetzt ernst nehmen“, appelliert Nadine Schlutzkus, Jugendreferentin im Kirchenkreis Gladbach-Neuss an die Kirchenleitung. Sie wünsche sich Ausführungsregelungen für die Kirchenordnung: „Das kann zum Beispiel bedeuten, dass sich zwei Jugendliche einen Posten im Presbyterium teilen“, schlägt sie vor. Aus der Projektarbeit im Kirchenkreis seien weitere Ideen hervorgegangen, um Strukturen zu verändern und für Jugendliche zu öffnen. Auch Elke Birckner hat Ideen im Gepäck: Den Jugendlichen, die Verantwortung übernehmen wollten, müssten Begleitpersonen an die Seite gestellt werden – um Frust zu vermeiden oder zu begleiten.

Bewusstsein für Themen ist vorhanden

Oberkirchenrätin Henrike Tetz, Leiterin der Abteilung Erziehung und Bildung im Landeskirchenamt, hört genau hin: „Wir müssen diese Ergebnisse jetzt bewerten und beraten, welche Änderungsprozesse wir brauchen“, sagt sie. Das müsse aber weiterhin im Dialog geschehen. Es sei ein gutes und starkes Netzwerk entstanden, erinnert sie. „Das Signal ist nicht verschwunden: Wir wollen Partizipation“, betont die Oberkirchenrätin. Die Jugendsynode 2019 habe viel bewegt. Es gebe heute ein Bewusstsein für diese Themen. „Hier entsteht etwas für die gesamte Kirche“, befindet Henrike Tetz. Da stimmen auch viele andere zu: Schließlich sei es auch ganz im Sinne vieler Erwachsener, wenn Gremiensitzungen künftig nicht mehr bis tief in die Nacht dauern und etwas kurzweiliger gestaltet würden. Nadine Schlutzkus bleibt bei ihrem Appell: „Kommt auf uns zu“, sagt sie entschieden mit Blick auf Entscheidungsträger, „wir sind sehr bereit für die Veränderung.“

Info: Die Jugendpartizipationsprojekte

Die Jugendpartizipationsprojekte gehen auf einen Beschluss der Jugendsynode 2019 zurück. Darin wurde die Evangelische Kirche im Rheinland beauftragt, verbindliche Formen der Teilhabe junger Menschen in Gemeinden und Gremien zu schaffen. Diesen Beschluss übernahm die Landessynode 2019 . Los ging es im Januar 2020. In unserer Serie „Jugend mischt mit“ haben wir die vier Modellprojekte der Kirchenkreise Gladbach-Neuss , Altenkirchen , Jülich und Kleve nach Projektstart vorgestellt.

  • 29.04.2024
  • Theresa Demski