Vizepräses Christoph Pistorius: Menschen brauchen Heimat

Predigt zu 500 Jahren reformatorischer Predigt in Wesel-Büderich

Düsseldorf/Wesel. „Suchet der Stadt Bestes!“ In dieser biblischen Aufforderung Gottes an das Volk Israel sieht Vizepräses Christoph Pistorius den Auftrag auch für evangelische Kirchengemeinden unserer Tage. Suchet der Stadt Bestes – zusammen mit den Menschen guten Willens und guter Hoffnung, ganz gleich, welcher Weltanschauung, Religion und Konfession“, so der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland in einem Festgottesdienst am Sonntag, 15. September, in Wesel-Büderich.

Mit dem Gottesdienst feiert die Evangelische Kirchengemeinde Büderich, dass der Lehrer Adolph Clarenbach vor 500 Jahren dort die erste reformatorische Predigt hielt. „Suchet der Stadt Bestes – damit die Hoffnung ein Gesicht bekommt, und Hände und Füße; damit Menschen in Not in dieser Stadt Hilfe und Unterstützung finden; damit Menschlichkeit von der Liebe Gottes zeugt, von der hier seit 500 Jahren gepredigt wird; damit diese Stadt ein guter Ort für Menschen ist“, unterstreicht Christoph Pistorius in seiner Predigt laut Manuskript.

„Wer bei Gott bleibt, hat überall Heimat“

In der Predigt über die biblische Passage, in der der Prophet Jeremia das nach Babylon verschleppte Volk Israel auffordert, das Leben in der Fremde zu gestalten, macht Pistorius deutlich, dass auch gut am Ort beheimatete Kirchengemeinden in der Fremde lebten: „Als Christenmenschen, die sich redlich darum bemühen, dem Beispiel des Juden Jesus von Nazareth zu folgen, sind wir eben auch in der Fremde. Wir sind quasi Fremde in der Welt, in der viele Menschen so ganz anderen Vorstellungen und Idealen folgen – oder auch eben nur der eigenen Bequemlichkeit, den eigenen Interessen und dem eigenen Streben nach Macht.“ Die Suche nach der Stadt Bestem, also nach dem, was in ihr und für sie Wohlergehen, Recht, Gerechtigkeit und Frieden schaffe, sei eine Art, in der das jüdische Volk in der Fremde Heimat behalten könne. Die Beheimatung bestehe darin, dass die Menschen im Exil im Glauben, Denken und Handeln an ihrem Gott und seinem Gebot festhalten. Dies schaffe innere Heimat – „ganz egal, wo ich mich gerade freiwillig oder gezwungenermaßen befinde; ganz egal, was mir abverlangt wird. In lebendiger Beziehung mit Gott zu bleiben, schafft Heimat – oder besser: Wer bei Gott bleibt, hat überall Heimat.“

Verbissener Heimatbegriff der „Angsthaber für Deutschland“

Menschen bräuchten Heimat, so der Theologe Pistorius: „In unserer Welt, die sich zwar als Planet Erde recht träge um die eigene Achse dreht, die sich aber doch mit atemberaubender Geschwindigkeit entwickelt und verändert, braucht es einen Ruhepol. Wir brauchen einen Halt.“ Deswegen wollten Menschen an dem festhalten, was sie kennen, was ihnen vertraut ist. Was neu und unbekannt sei, mache Angst, verunsichere: „Und dort, wo Angst und Verunsicherung dann das Denken und Fühlen bestimmen, blühen plötzlich Egoismus, Ausgrenzung und Nationalismus auf. Das erleben wir gerade in unserem Land, das nach dem verbissenen Heimatbegriff der innerlich und moralisch unbeheimateten Angsthaber für Deutschland keine Heimat für andere sein soll.“

Dem Frieden Gottes in der Welt Raum geben

Heimat gebe es aber immer nur auf Zeit, so der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Heimat sei theologisch betrachtet weniger ein Ort als vielmehr eine Verheißung Gottes. Die „biblische Utopie“ Heimat rage aber schon in unsere Gegenwart hinein: „Im sehnsüchtigen Beten, Suchen und Tun dessen, was unserer begrenzten Heimat zum Besten dient, liegt nämlich schon das erste Stück Heimat. Deshalb also hier die Hausaufgabe für eine traditionsbewusste, heimatverbundene evangelische Gemeinde auf den Spuren des Gottes von Abram und Sarai heute: Suchet der Stadt Bestes! Richtet euch nicht ein in der Heimatlosigkeit, die sich wie Heimat anfühlt!“ Es gehe darum, in der Gegenwart dem Shalom, dem umfassenden Frieden, der im Hier und Jetzt möglich ist und in dem sich Gottes verheißener Shalom bereits ankündigt, mit menschlichen Möglichkeiten Gestalt zu geben. „Unsere Welt hat Frieden im Großen wie im Kleinen so bitter nötig: Die Kriege in Nahost und der Ukraine, die rassistischen Ausschreitungen etwa in Großbritannien und die antisemitischen Angriffe auf unsere jüdischen Geschwister sind nur die markantesten Beispiele dafür, dass es Menschen braucht, die sich darum bemühen, Gottes Frieden in unserer Welt Raum zu geben“, so Christoph Pistorius wörtlich.

  • 13.9.2024
  • Jens Peter Iven
  • EKiR/Uwe Schinkel