Geheimnisvolle Vielfalt

Sonntagskirche | 16.01.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Beim Gang über den

Wochenmarkt zog es mich plötzlich sechs Schritte zurück. Was stand da auf dem

Schild? Hässliche deutsche Gurken, Handelsklasse II, 50 Cent. In der

Kiste sah ich Gurken aller Größen und Formen. Krumme und schiefe, kleine wie

große. Eine Salatgurke der Güteklasse I durfte sich aber auf zehn Zentimetern

Länge um nur maximal 10 Millimeter krümmen – so beschied es einst die

Gurkenkrümmungsverordnung der EU. Seit 2009 gibt es diese Verordnung nicht

mehr. Aber Salatgurken sehen bis heute trotzdem so aus, wie das damals

vorgeschrieben war. Dabei gleicht keine Gurke der anderen, weder in Deutschland

noch anderswo. Und wie die Gurken, so auch Tomaten, Äpfel, Birnen oder Rüben –

höchst unterschiedlich kommen sie daher, in Aussehen wie Geschmack. Ja,

vielgestaltig ist Gottes Schöpfung, in Formen, Farben, Düften, Krümmungen und

vielem mehr.

Betrete ich einen

Supermarkt, so scheint sich die Schöpfungsvielfalt dort abzubilden. Überfülle

im Angebot. Komme ich dem Sortiment näher, springt mir eine Vielfalt ins Auge

an Schokoriegeln, Knabberchips oder Energy drinks. Aber: Von 20.000 Apfelsorten

finden sich dort vielleicht sechs, sieben. Bananen gibt’s oft nur eine Sorte.

Dafür türmen sich Fertiggerichte aller Art. Geschmacklich eher ein

Einheitsbrei.

So gaukelt die Warenwelt

uns Schöpfungsvielfalt vor. 30.000 Maissorten gab es einmal weltweit. Ein paar

Dutzend werden davon noch angebaut. Zugleich sterben Bienen. Insekten

verschwinden aus der Natur. Und ohne Insekten hungern viele Vogelarten. Der

Gesang der Vögel ist arg dünn geworden. Lebensarten stehen auf der roten Liste,

immer mehr verabschieden sich auf Nimmerwiedersehen.

Die Warenwelt dagegen plustert

sich auf. Und doch siegt nur der Schein. In Wahrheit schwindet die Vielfalt.

Gleichförmiger werden unsere Innenstädte. Überall die gleichen Ketten, die das

Stadtbild dominieren. Gleichförmiger wird auch der ländliche Raum, überformt

von industrialisierter Landwirtschaft.

Das Glatte, Glänzende

ist das Merkmal unserer Zeit, zweifellos. Glatt erscheinen Fassaden,

Karosserien und Mannequins.

Das Lebendige, Hinreißende,

das Faszinierende des Lebens aber kommt nicht aus dem langweilig

Gleichförmigen, sondern aus dem Geheimnisvollen, dem Vielschichtigen,

Tiefgründigen. Und das ist nicht glatt und makellos, sondern vielfältig,

mehrdeutig, auch schief und krumm wie alles Leben, wie Du und ich, ist so schön

hässlich wie kleine und krumme Gurken. Das Lebendige ist so geheimnisvoll wie

Gott selber, der Schöpfer allen Lebens.

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 16.1.2022
  • Alfred Buß
  • (Kirche im WDR)
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