Synagogenbesuch am 7. Oktober: Tiefer Schmerz und seine bedrückenden Folgen

Es könnte alles so leicht sein. Als Leonid Goldberg am ersten Jahrestag des Terroranschlags der Hamas auf Israel die gut 20-köpfige Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland begrüßt, führt der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal zunächst durch die Synagoge, als handele es sich um eine übliche Besuchergruppe an einem üblichen Tag. Doch seit dem 7. Oktober 2023 ist nichts mehr leicht. Stattdessen fallen beim anschließenden Gespräch in der Synagoge Begriffe wie Bedrückung, Lähmung und Hilflosigkeit.

Man sei gekommen als Zeichen der Anteilnahme, sagt Präses Dr. Thorsten Latzel. An seiner Seite: weitere Mitglieder der Kirchenleitung, aber auch Superintendentinnen und Superintendenten aus dem ganzen Gebiet der rheinischen Kirche. Sie gelangen noch auf direktem Weg in den Synagogenbau. Künftige Besuchergruppen werden aber die neue Sicherheitsschleuse durchlaufen müssen. „Die Sicherheitsmaßnahmen sind sehr stark verschärft worden“, sagt Leonid Goldberg.

Präses Latzel zum Gedenken an den 7. Oktober: „Wir sind an Ihrer Seite“

„Wir wollen gerne von Ihnen hören, wie Sie das vergangene Jahr und die Welle an Antisemitismus erlebt haben“, beschreibt der Präses den Anstoß für den Besuch und versichert: „Wir sind an Ihrer Seite.“ Noch am Tag zuvor hatte die jüdische Gemeinde auf dem Friedhof der mehr als 1600 Toten seit dem 7. Oktober 2023 gedacht: zum Großteil Terroropfer, aber auch Soldaten, die im anschließenden Krieg gefallen sind. Goldberg selbst ist gerade mit seiner Frau von einer Israelreise zurückgekehrt – und berichtet von einem gespaltenen Land. Auf der einen Seite die Anhänger von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dem Vorgehen der Regierung gegen Hamas und Hisbollah, auf der anderen Seite diejenigen, die vor allem das Schicksal der restlichen Geiseln im Blick haben und Verhandlungen fordern. „Aber wir wissen nicht, wie viele Geiseln überhaupt noch leben.“

Kontaktabbruch zu den muslimischen Gemeinden

Wie tief der Schmerz sitzt und welche Verhärtungen er zur Folge haben kann, auch das wird während des Besuchs deutlich. Zumindest für die Wuppertaler Kultusgemeinde gilt, dass sie sich vorerst jegliche Form interreligiöser Begegnungen unter Beteiligungen von Muslimen nicht vorstellen kann. Kein einziges Wort des Mitgefühls habe es seitens der muslimischen Gemeinden in Wuppertal nach dem 7. Oktober gegeben, erzählt Goldberg. Seine Konsequenz aus dieser Erfahrung: „Wir wollen mit Muslimen nichts mehr zu tun haben.“

Schwere Zeiten für interreligiöse Vermittlung

Dass Sätze wie dieser für protestantische Ohren schwer zu hören sind, weiß auch der Vorsitzende der Kultusgemeinde. Immer wieder betont er die „wunderbare Verbindung“ zu beiden christlichen Konfessionen. Ihm sei auch bewusst, wie sehr sich gerade die evangelische Kirche um interreligiöse Vermittlung bemühe. „Aber wir brauchen das nicht.“ Auf die Frage, was die rheinische Kirche jetzt tun könne, entgegnet er: „Sprechen Sie mit den Muslimen. Erklären Sie ihnen, dass Juden hier schon länger leben, als es den Islam überhaupt gibt.“

Viele jüdische Menschen ziehen sich zurück

Drei Jahre liegen die Feierlichkeiten zu 1700 Jahren jüdischem Leben in Deutschland zurück. Heute, so sagt Goldberg, sehe er nicht die AfD an erster Stelle, wenn es um die Gefahren des wachsenden Antisemitismus gehe. Bedrohlicher empfindet er den linken und muslimischen Antisemitismus. Viele jüdische Menschen hätten inzwischen Angst, in die Synagoge zu gehen oder überhaupt erkennbar zu sein. Gerade die Jugend, vor drei Jahren noch voller Selbstbewusstsein bezüglich ihrer Identität, ziehe sich spürbar zurück. Und Goldberg, schon mehr als 30 Jahre Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde, zitiert sich selbst: „Ich habe vor Jahren gesagt, dass die jüdischen Koffer in Deutschland ausgepackt sind. Jetzt kommt langsam die Zeit, sie wieder einzupacken.“

Psalmgebet und Briefübergabe zum Abschied

Schließlich betet Rabbiner Chaim Kornblum mit der rheinischen Kirchendelegation noch Psalm 121 auf Hebräisch und Deutsch: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Zum Abschied überreicht Präses Latzel den Brief, den er allen jüdischen Gemeinden auf dem Kirchengebiet zum 7. Oktober geschickt hat . Und er sagt: „Uns ist wichtig, dass die Koffer von Ihnen auf dem Dachboden bleiben.“

  • 7.10.2024
  • Ekkehard Rüger
  • Ekkehard Rüger