„Fleisch gehörte zu einer Hauptmahlzeit dazu – Vegetarisches wurde noch nicht als vollwertiges Essen gesehen.“ Ulrike Damberger kennt den Wandel in den Familienküchen der letzten 43 Jahre. So lange hat die Ökotrophologin als Fachbereichsleiterin für Ernährung und Hauswirtschaft, Nähen und Kreativität in der Evangelischen Familienbildungsstätte Mülheim unterrichtet, nun geht sie wohlverdient in Rente. Wie viele Mülheimerinnen und Mülheimer gemeinsam mit Ulrike Damberger Rezepte studiert und zubereitet und viel über gesunde und preiswerte Ernährung gelernt haben, ist kaum mehr zu erfassen. „Allein in den letzten zwölf Jahren waren es 3462 Teilnehmende in 1186 Kursen“, sagt Inga-Dorothea Schlemmer, Leiterin der Evangelischen Familienbildungsstätte.
Mit den Jahren wurde es internationaler in den Mülheimer Pfannen und Öfen, so auch in der der Lehrküche der Familienbildungsstätte. „Länderküche“ wie chinesisch, französisch oder orientalisch war gefragt. Und wer in den Siebziger Jahren etwas „Exotisches“ kochen wollte, musste mitunter kreativ bei der Beschaffung sein. Ulrike Damberger: „So etwas wie frischer Ingwer war in Mülheim nur im Feinkostladen zu bekommen, heute liegt er beim Discounter in der Gemüsetheke. Damals hat man sich manchmal auch mit Ingwerpulver beholfen“. Später, in den 1980ern, war „Vollwert“ als Trend angesagt. Heute werden auch vegetarische und vegane Kochkurse aus dem Programm der Familienbildungsstätte gerne gebucht. Überhaupt, die Interessen der Teilnehmerinnen, früher waren es nur selten Männer, haben sich gewandelt. „Damals kamen die meisten, um ganz konkret die Fertigkeiten in der Küche zu erlernen. Da spielte auch die Vorstellung eine Rolle, dass eine Frau das braucht, wenn sie heiraten will“, erinnert sich Ulrike Damberger an ihre Anfänge als Dozentin in der Einrichtung, die ihre Lehrküche in Kellerräumen der Dümptener Gemeinde am Schildberg hatte.
Ihre Ausbildung hat die staatlich geprüfte Oecotrophologin an der seinerzeit neu gegründeten Fachschule für Hauswirtschaft und Ernährung in Wuppertal absolviert. „Und natürlich hatte ich auch schon viel von meiner Mutter gelernt – später hat sie mich dann immer wieder um Rat gefragt.“ Dass Hauswirtschaft heute kaum noch verbindlich an Schulen unterrichtet wird, findet Ulrike Damberger schade. „Man kann so viel Nützliches lernen, nicht nur über das Kochen, sondern zum Beispiel auch, wie man sich gesund ernährt und nachhaltig einkauft.“
Heute kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur in die Kurse, um ein die Grundlagen des Kochens zur erlernen sondern um einen Einblick in die Vielfalt zu erhalten. „Das Kochen in der Gemeinschaft ist ein Erlebnis, weswegen sich viele anmelden“ berichtet Ulrike Damberger. Oft meldeten sich Freunde gemeinsam an oder erwachsene Kinder kommen mit ihren Eltern. Über die Jahre hinweg wagten sich auch immer mehr Männer in die Lehrküche. „Zuerst kamen sie nur, um ihre Frauen abends abzuholen, dann fand der Nachtisch Gefallen, schließlich meldeten sie sich an im Kurs.“ Jede Altersgruppe findet auf ihre Weise den Weg in die Lehrküche in die Familienbildungsstätte, berichtet die Fachbereichsleiterin. „Da gibt es Rentner, die haben ihr ganzes Berufsleben lang in der Kantine gegessen und jetzt wollen sie sich auf gesunde Weise selber verpflegen.“
Für fast jeden Bedarf und Geschmack hat die Ernährungsfachfrau in über 40 Berufsjahren ein schmackhaftes Angebot entwickelt. Ein eigenes Lieblingsgericht? Damit ist sie überfragt: „Na gut, Lasagne schmeckt mir immer, aber eigentlich möchte ich mich gar nicht festlegen. Dafür probiere ich viel zu gerne Neues aus.“ Als Ermutigung zum Ausprobieren versteht die 65-Jährige auch die Kurse in der Familienbildungsstätte. „Hier können wir auch mal ein Gericht retten, falls etwas schiefgeht. Viele kennen nur Kochen nach Rezept und halten sich penibel daran, das ist doch schade. Im Kurs kann man lernen, wie man ganz grundsätzlich etwas zubereitet, abändert und dann selber etwas Abwechslung hineinbringen.“
Ulrike Damberger hat Tipps für Eltern für eine abwechslungsreiche Familienküche, die sie in Kochkursen kennenlernen und ausprobieren können. Manche Kinder mögen z.B. bestimmtes Gemüse nicht Wenn das Brokkoliröschen an sich keinen Gefallen findet, könne man das Gemüse pürieren und als Sauce zu Nudeln zu reichen. Die Fachfrau rät gestressten Eltern: akzeptieren und abwarten. „Der Geschmack ändert sich mit der Zeit. Man muss sich an Lebensmittel gewöhnen dürfen. Bis zu 80 Versuche kann es dauern, bis man etwas vertraut und lecker findet.“ Gemeinsam mit Kindern wird in der Familienbildungsstätte oft in Kooperationsprojekten mit Familienzentren und Schulen gekocht. Dabei hat Ulrike Damberger auch Kinder kennengelernt, die vor allem an vorportioniertes und verarbeitetes Essen gewöhnt sind: „Quetschies“ mit süßem Fruchtpüree oder Toast mit abgeschnittenen Kanten. „Gerade bei kleinen Kindern ist es wichtig, dass sie Dinge selber ausprobieren können und auch kauen lernen können. Das ist auch für die Sprachentwicklung wichtig. Wenn man das Schwarzbrot mit dem Toast vergleicht, auch mal in die Hand nimmt und es zusammendrückt, merkt man ganz schnell, wie unterschiedlich es sich anfühlt und kann sich auch vorstellen, warum das Eine viel länger satt macht als das Andere.“
Die Ansichten darüber, was tatsächlich gesund ist, haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Ulrike Damberger: „Früher hat man oft alle Fette verteufelt. Heute weiß man, dass wir bestimmte Öle einfach brauchen. Früher galt auch die Kartoffel an sich als Dickmacher, das würde man heute nicht mehr so behaupten.“ Das Generalrezept, die gesunde Diät für alle, kann es aber nicht geben, darauf legt die ausgebildete Ernährungsfachfrau Wert. „Starke Einschränkungen, auf bestimmte Lebensmittel komplett zu verzichten, das macht nicht für alle gleichermaßen Sinn“, betont Ulrike Damberger. Und: Ernährung kann individuell und zugleich preiswert sein. Tipps zur Resteverwertung sind in den Kochkursen von Ulrike Damberger immer inklusive.
Neben den Kochkursen war Ulrike Damberger in über 40 Jahren Familienbildung immer auch als Referentin im Einsatz, zum Beispiel mit Vorträgen über die Geschichte verschiedener Nahrungsmittel wie z.B. über die der Kartoffel, über Kaffee oder Gewürze. Als Fachfrau für Hygienefragen stand sie Kirchengemeinden und ihren Ehrenamtlichen zur Seite. Dass das Wissen rund um Hygiene einmal so gefragt sein sollte wie zu Zeiten der Corona-Pandemie, das hätte auch in der Familienbildungsstätte niemand geahnt.
Die Arbeit in der Küche ist für die langjährige Fachbereichsleiterin aber kein Stress, ganz im Gegenteil „für mich ist das Entspannung, man kann kreativ sein, etwas ausprobieren, das ist doch toll.“ Zu Hause kocht sie auch gerne gemeinsam mit ihrem Mann, den Sie tatsächlich in einem ihrer Kochkurse kennengelernt hat. Einen alternativen Berufswunsch? Hat Ulrike Damberger nie gehabt. „Einzig, auf der Fachschule für Ernährung und Hauswirtschaft hatte ich mir noch vorgestellt, ich würde später einmal in einer Berufsschule unterrichten. Aber hier in der Familienbildung arbeitet man mit Teilnehmenden, die freiwillig kommen. Das wollte ich nicht mehr eintauschen.“
Und weil Ulrike Damberger auch nach über 43 Jahren noch immer neue Rezepte (er)findet, ist für sie mit der nahen Rente nicht Schluss. „Als Kursleiterin bleibe ich der Evangelischen Familienbildungsstätte bestimmt erhalten.“ Es gibt noch einiges zu Probieren.