„Durch Polizei und Feuerwehr geht eine Schockwelle“

Nach einer Explosion in einem Mehrfamilienhaus in Ratingen wurden am vergangenen Donnerstag zahlreiche Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr verletzt, teilweise lebensgefährlich. Was so ein dramatisches Ereignis mit den Rettungskräften macht und welche Auswirkungen es auch auf nicht mittelbar betroffene Kolleginnen und Kollegen hat, erklärt Bianca van der Heyden, Landespfarrerin für Notfallseelsorge, im Interview.

Frau van der Heyden, die Rettungskräfte in Ratingen wurden am Donnerstag wegen einer hilflosen Person gerufen, eigentlich ein Routineeinsatz. Was macht es mit ihnen, wenn sie stattdessen so etwas Unvorhergesehenes und Schreckliches erleben?
Bianca van der Heyden: Das sorgt erstmal für absolutes Entsetzen. Nicht nur bei den Einsatzkräften vor Ort, sondern bei der gesamten Einsatz-Community. Durch Polizei und Feuerwehr geht eine Schockwelle. Diese Situation hat eine ganz besondere Dramatik: Da kommen Menschen, um jemanden zu retten und dann wendet sich das Blatt – innerhalb einer Sekunde verkehrt sich die Welt und der, dem man helfen wollte, wird zum lebensgefährlichen Angreifer.

Wie hat die Notfallseelsorge in Ratingen geholfen?
van der Heyden: Die Kolleginnen und Kollegen haben sich in erster Linie um die Menschen gekümmert, die in dem Hochhaus gewohnt haben. In ihrem Zuhause, ihrem sicheren Rückzugsort, gab es eine Explosion, einen SEK-Einsatz, es wurde geschossen – das hat viele verängstigt und sie brauchten Betreuung. Es war aber nicht nur die Notfallseelsorge im Einsatz, sondern die geballte psychosoziale Betreuung der Feuerwehr und der Polizei. Alle, die an diesem Tag verfügbar waren, sind nach Ratingen gekommen.

Was für eine Strahlkraft hat so ein Ereignis auf Rettungskräfte?
van der Heyden: So ein Ereignis wirkt sich auf jede Rettungskraft aus, die davon hört. Denn das Identifikationspotenzial mit den Kolleginnen und Kollegen ist enorm hoch: Sie machen denselben Job und setzen sich denselben Gefahren aus. Der Gedanke „Das hätte auch ich sein können“ kommt dann automatisch. Die unberechenbaren Gefahren, die ihr Beruf mit sich bringt, werden dann auf einmal sehr, sehr real. Das betrifft nicht nur die Einsatzkräfte selbst, sondern auch ihre Angehörigen.

Was machen die  Rettungskräfte mit ihren Ängsten?
van der Heyden: Sie haben Strategien gelernt, damit umzugehen. Sie bilden Gemeinschaft, halten zusammen. In der „Einsatzfamilie“ ist sehr wichtig, dass man sich mit den Kolleginnen und Kollegen über das Geschehene austauschen kann, wenn man das Bedürfnis hat und sich dann auch unterstützen lässt, wo es notwendig ist. Was in einer solchen Situation gut tut, sind sichtbare Zeichen der Solidarität, der Anteilnahme und der Wertschätzung.

 

  • 12.5.2023
  • Christina Schramm
  • Red